
Die SS Cotopaxi zählt zu den berühmteren Fällen von angeblich spurlosen Schiffsverlusten im Bermudadreieck. Ihr Verschwinden im Dezember 1925 wurde immer wieder als Beispiel für die vermeintlich mysteriösen Gefahren dieser Region herangezogen – besonders durch populärwissenschaftliche Werke in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie bei vielen anderen Fällen rund um das Bermudadreieck ist jedoch auch hier eine kritische Betrachtung der Ereignisse notwendig, um zwischen Mythos und Realität zu unterscheiden.
Die Cotopaxi war ein Frachtschiff der „Clinchfield Navigation Company“, gebaut 1918 in den USA. Sie hatte eine Länge von etwa 77 Metern und wurde für den Kohletransport zwischen den südlichen US-Häfen und Kuba eingesetzt. Am 29. November 1925 verließ sie den Hafen von Charleston (South Carolina) mit Kurs auf Havanna, Kuba. An Bord befanden sich 32 Besatzungsmitglieder sowie eine Ladung Kohle.
Noch vor dem Verlassen des amerikanischen Festlands soll der Kapitän der Cotopaxi bereits auf Probleme mit der Ladeluke und Undichtigkeiten im Rumpf hingewiesen haben. In einem damals abgeschickten Funkspruch – der später entscheidende Bedeutung erlangen sollte – wurde berichtet, dass das Schiff stark Wasser aufnehme. Der Kapitän, W.J. Meyer, hatte offenbar noch die Hoffnung, den Kurs halten zu können oder zumindest Hilfe anzufordern. Danach jedoch verstummte jeglicher Funkverkehr.
Am 1. Dezember 1925, zwei Tage nach Auslaufen aus Charleston, wurde die Cotopaxi offiziell als vermisst gemeldet. Es folgten Suchaktionen entlang der Küste Floridas und in Richtung der Bahama-Inseln. Doch das Schiff blieb spurlos verschwunden. Es gab weder Trümmerteile noch Hinweise auf Rettungsboote oder Überlebende. Aufgrund des abrupten Abbruchs der Kommunikation und des völligen Fehlens physischer Überreste entwickelte sich schnell ein Hauch des Unerklärlichen um das Verschwinden der Cotopaxi.
Das Ereignis geriet über Jahrzehnte in Vergessenheit, bis es in den 1970er Jahren durch Autoren wie Charles Berlitz wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde. In seinem Buch „The Bermuda Triangle“ beschreibt Berlitz das Schicksal der Cotopaxi als einen der typischen Fälle für die geheimnisvollen Kräfte, die im Bermudadreieck angeblich wirken – Zeitverzerrungen, elektromagnetische Anomalien oder gar außerirdisches Eingreifen. Im Zusammenhang mit anderen verschwundenen Schiffen und Flugzeugen wie Flight 19 oder der USS Cyclops wurde die Cotopaxi Teil eines größeren Narrativs, das die Region zwischen Bermuda, Florida und Puerto Rico als einen gefährlichen „Sog des Verschwindens“ beschrieb.
Die Realität scheint allerdings weit prosaischer zu sein. Im Jahr 2020 gaben Meeresarchäologen bekannt, das Wrack der Cotopaxi entdeckt zu haben – und zwar nicht irgendwo im „tiefen Dreieck“, sondern unweit der Küste Floridas nahe St. Augustine. Das Wrack wurde bereits in den 1980er Jahren entdeckt, aber erst durch eine aufwendige Analyse, die 2019 und 2020 abgeschlossen wurde, konnte es zweifelsfrei als die Cotopaxi identifiziert werden. Diese Identifikation gelang unter anderem durch den Abgleich mit historischen Bauplänen, Frachtaufzeichnungen und Positionen des Notrufs von 1925.
Damit ist das angeblich „spurlos verschwundene“ Schiff keineswegs spurlos geblieben – es war lediglich jahrzehntelang nicht als das erkannt worden, was es war. Der wahrscheinliche Ablauf: Die Cotopaxi war durch strukturelle Mängel (möglicherweise verursacht durch schlechte Wartung oder Überladung) bereits beim Auslaufen gefährdet. In Verbindung mit schlechtem Wetter und Seegang nahm sie rasch Wasser auf, sank vermutlich innerhalb weniger Stunden, ohne dass Rettungsmaßnahmen greifen konnten. Dass keine Überreste oder Leichen geborgen wurden, ist in der Seefahrt – besonders in den 1920er Jahren – kein außergewöhnliches Phänomen.
Der Fall der Cotopaxi illustriert damit eindrucksvoll, wie durch lückenhafte Dokumentation, dramatisierende Literatur und das Weglassen von nüchternen Details ein schlichter Schiffsuntergang zum Baustein eines übernatürlichen Mythos werden konnte. Während in der öffentlichen Vorstellung das Schiff jahrzehntelang Teil eines ungelösten Mysteriums war, ergab sich bei genauerer Prüfung ein vollständig nachvollziehbares Bild: Ein alter Frachter, in schlechtem Zustand, gerät auf hoher See in Schwierigkeiten, sendet einen Notruf und sinkt schnell in einem ohnehin gefährlichen Seegebiet.
Heute wird die Cotopaxi von seriösen Historikern als Beispiel dafür angeführt, wie sich reale Ereignisse mit spekulativen Annahmen vermischen lassen – insbesondere dann, wenn sie in einen bereits populären Mythos eingebettet werden. Das Bermudadreieck selbst bleibt bis heute ein Thema voller Legenden, doch der Fall der Cotopaxi gehört zu jenen, die durch moderne Forschung weitgehend entmystifiziert werden konnten.
Schiffsdaten
- Name: SS Cotopaxi
- Typ: Frachtschiff
- Reederei: Clinchfield Navigation Company
- Baujahr: 1918
- Länge: ca. 77 Meter
- Funktion: Kohletransport
Zeitlicher Ablauf
- Auslaufen: 29. November 1925
- Startpunkt: Charleston, South Carolina (USA)
- Ziel: Havanna, Kuba
- Besatzung: 32 Mann
- Letzter Funkspruch: Meldung über Wassereinbruch
- Vermisstmeldung: 1. Dezember 1925
Ereignis und Umstände
- Probleme an Bord:
- Wassereinbruch
- Hinweise auf strukturelle Mängel
- Keine weiteren Funksignale nach dem ersten Notruf
- Keine Trümmer oder Überlebende gefunden
- Schiff galt über Jahrzehnte als „spurlos verschwunden“
Rezeption in der Öffentlichkeit
- Aufnahme in Bermudadreieck-Mythos:
- Charles Berlitz, „The Bermuda Triangle“ (1974)
- Darstellung als übernatürliches oder unerklärliches Verschwinden
- Bezug zum Bermudadreieck:
- Position innerhalb der typischen Dreiecksgrenzen (Florida–Bermuda–Puerto Rico)
Wissenschaftliche Aufklärung
- Wrack entdeckt: Bereits in den 1980er Jahren
- Identifikation als Cotopaxi: 2019–2020 durch Meeresarchäologen
- Fundort: Vor der Küste Floridas, nahe St. Augustine
- Ursache des Untergangs:
- Strukturelle Schäden
- Schlechtes Wetter
- Wasseraufnahme und Kentern/Sinken
Fazit
- Kein übernatürlicher Vorfall
- Kein spurloses Verschwinden
- Heute als vollständig geklärter Fall anerkannt
- Beispiel für die Entstehung von Mythen durch fehlende Informationen und populäre Ausschmückung